Die Funktion der Sprache und die Gewalt – Reflexion zu Medienberichterstattung über die Vergewaltigungen in Ex-Jugoslawien

 

Die Funktion der Sprache und die Gewalt

Reflexion zu “Medienberichterstattung über die Vergewaltigungen  in  Ex-Jugoslawien” Rote Fabrik,  5. Mai 1993

 

Seit mehr wie eineinhalb Jahren ist Krieg in  Ex-Jugoslawien,  seit einem Jahr in  Bosnien. Der Krieg und das damit verbundene Ausmass an Gewalt sprengt unser Vorstellungsvermögen.  Dieses Ausmass an Gewalt ist jenseits aller Bilder und jenseits aller Sprache,  die zur Verfügung stehen. Sprache und Bilder haben zwar in der Vorbereitung der Enthemmung zur Gewalt und in deren Legitimationn  ihre unaustauschbare Rolle. Rosa Luxemburg  spricht in der Junius Broschüre in Bezug auf den Ersten Weltkrieg vom “methodischen,  organisierten,  riesenhaften Morden”,  vom “systematischen  Morden”,  wozu bei “normal  veranlagten Menschen erst der entsprechende  Rausch erzeugt” werden müsse.  “Der Bestialität der Praxis muss die Bestialität der Gedanken und Gesinnung ensprechen,  diese muss jene vorbereiten  und begleiten.”

Da der Krieg die totale Gewalt ist,  da er die totale Zerstörung  aller Werte ist,  die als zivilisatorische Garantien den Schutz menschlichen Lebens, den besonderen Schutz des Lebens von Kindern,  Frauen und alten Menschen,  die Nichtverletzbarkeit von Körper und Seele,  den Respekt vor dem Eigentum,  selbst vor dem geistigen Eigentum,  das heisst auch vor den moralischen und religiösen Überzeugungen  auderer Menschen,  mithin aller Werte,  die innerhalb der menschlichen Gemeinschaft das Zusammenleben Vieler und Verschiedener  überhaupt möglich machen, da die Zerstörung der Gemeinschaft ja das Ziel der Kriegführung  ist, hat jeder einzelne Gewaltakt innerhalb der totalen  Gewalt die gleiche verbrecherische Bedeutung. Dazu kommt.  dass jeder  Gewaltakt auf gleiche Weise durch  eine verbrecherische,  menschen- und kulturverachtende  Ideologie – Nationalismus  und Rassismus – scheinbar legitimiert wird.

Diese Gewaltakte sind daher alle gleich verbrecherisch.  Da wo Brutalität und Verbrechen total sind „gibt es keine eigentlich  Steigerung.  Jeder dieser Gewaltakte – auch die langsam  wirkenden wie die· systematische Aushungerung  – zerstört das ganze existentielle, Vertrauen,  die ganze personale Identität der Opfer. Vergewaltigung  ist einer dieser Gewaltakte,  eines dieser Verbrechen. Wir sprechen heute ausschliesslich von diesem.

Im Gegensatz zur häufigen Behauptung, die Vergewaltigungen  seien nicht oder kaum zur Sprache gekommen,  sie seien in der Presse verschwiegen  worden,  stelle ich fest, dass sie häufiger und ausführlicher dargestellt wurden und werden als alle übrigen beklemmenden,  aufwühlenden  Verbrechen dieses Kriegs,  sowohl in der fraueneigenen wie in der allgemeinen Presse,  zum Teil  sogar mit einer fast geschwätzigen Ausführlichkeit,  die an voyeuristische Wiederholung  erinnert.  In fast allen Artikeln – eine klare Asunahme bildet die Auseinandersetzung  Astrid Deuber-Mankowskys  mit Heike Sanders Film,  WoZ vom 26. Februar 1993  – fällt die plakative, platte Sprache auf,  Ausdruck einer Unfähigkeit,  die Vergewaltigungen  anders als unter dem quantitativen Aspekt der Häufung  von “Greueltaten”   zu sehen.  Einen vielleicht annähernd breiten  Platz nahm  und nimmt höchstens noch die Schilderung der kz-mässigen Gefangenenlager ein, in denen – analog zu den Vergewaltigungen  – eine andere Variation der systematischen Erniedrigung  und Tortur sich wiederholt.

Es kommt nicht von ungefähr,  dass nur diese beiden Thematisierungen  des Krieges bei uns wirkliche Reaktionen ausgelöst haben: die Gefangenenlager haben den Bundesrat bewogen,  endlich die Aufnahmekontingente grosszüger zu definieren und den Aufgenommenen von Anfang  an den vollen Flüchtlingsstatus  und damit das Recht auf Familiennachzug  zuzuerkennen.  Die Schilderung der Vergewaltigungen  hat eine grosse Frauensolidaritätsbewegung bewirkt.  Frauengruppen  sind nach Belgrad und nach Zagreb gereist, es wurden Hilfsprojekte für vergewaltigte Frauen entworfen,  bei mir im Büro der Flüchtlingshilfe trafen  Angebote von Psychologinnen  für Psychotherapien vergewaltigter  Frauen ein, ein Arzt und eine Ärztin riefen an und boten ihre Bereitschaft an, Abtreibungen vorzunehmen,  Familien riefen an und wollten unerwünschte Kinder adoptieren,  und so weiter.

Ich frage mich, warum dies so ist.  Warum gerade die Vergewaltigungen einen solches Echo auslösen, während die schweren  seelischen Traumata der anderen Flüchtlinge,  der Frauen,  Kinder und alten Leute, kaum wahrgenommen  werden. Meine Vermutung ist,  dass die Vergewaltigung  der einzige Aspekt von Gewalt in diesem Krieg ist, der sich mit äussersten Gewalterfahrungen hier bei uns messen lässt, den wir samt der damit verbundenen Demütigung,  der psychischen  sowie körperlichen Traumatisierung nachvollziehen können,  während der ganze Krieg in seiner Gewaltsummierung jede Vorstellung  übertrifft,  damit aber auch sowohl  den gefühlsmässigen Nachvollzug und eine wirkliche Solidarisierung verunmöglich wie sich der Sprache entzieht. Die Möglichkeit,  das Verbrechen als Opfer nachzuvollziehen, erklärt zu einem grossen Teil,  scheint mir,  sowohl den breiten ausführlichen Platz in der Frauenpresse  wie die Solidarisierungskampagnen der Frauen.

Dass gerade diese an Frauen begangenen Verbrechen in  der allgemeinen Presse ebenfalls einen viel breiteren Platz einnehmen als alle anderen,  hat, scheint mir, vor allem damit zu tun,  dass es sich um Schilderungen brutalster Sexualität handelt, die, neben aller Abscheu, die sie auch bei Männern wecken mag, eine – kulturell zwar geächtete, aber trotzdem vorhandene  – Geilheit bewirkt,  die in allem Voyeurtum aktiv ist und die gemeinhin als Sensationslust bezeichnet wird.  Dass dabei die Opfer definitiv zu Opfern gemacht werden, dass ihnen jede Subjektwürde genommen wird, wird ohne Skrupel hingenommen – quasi als Marktpreis. Wo fängt eigentlich Mittäterschaft an?

 

siehe auch: “Auch die Sprache lässt sich nicht zum Objekt machen” – Rede im Rahmen der Tagung Netzwerk schreibender Frauen, 14. November 1992 im Frauenzentrum Zürich

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