Leben im Gegenlicht – Wie schön war es in Brcko vor dem Krieg!

Leben im Gegenlicht

Wie schön war es in Brcko vor dem Krieg!

 

Leben im Gegenlicht: Eine Serie des Fürsorgeamtes der Stadt Zürich, die monatlich einmal erscheint, um über die vielseitige Tätigkeit dieses Amtes zu informieren. Dieser – vorläufig   letzte – Beitrag ist der Kantonalen Asylorganisation gewidmet. Dem Fürsorgeamt angegliedert, obliegt ihr die Betreuung sowohl der Asylsuchenden wie der Flüchtlinge in Stadt und Kanton – eine menschlich und organisatorisch anspruchsvolle Aufgabe. Eine bosnische Familie, die der gnadenlose Krieg nach Zürich vertrieben hat, erzählt ihre Geschichte.

 

Brcko, eine mittelgrosse bosnische Stadt,  liegt im breiten Tal der Save. Dem gewundenen Flusslauf entlang verlief vor dem Krieg die Grenze zu Kroatien. “Wir überquerten die Brücke über die Save, und schon waren wir in Kroatien. Wie schön war es in Brcko vor dem Krieg!” Die Augen von Elvira und Samka leuchten auf. “Die Freiheit, die wir dort hatten, ist hier unvorstellbar. Dort lauerten keine Gefahren, wir brauchten uns zum Beispiel nicht vor aggressiven Drogenhändlern in acht zu nehmen. In unserer Strasse wohnten fast nur Familienangehörige. Der Vater besass eine private Metzgerei und zwei Häuser, alle Onkels und die Grosseltern väterlicherseits hatten dort ihre Häuser, wir gingen von einem zum anderen, immer waren wir überall willkommen. So ist es Brauch in Bosnien”.

Als der Krieg im Frühjahr 1992 losbrach, musste Munira Pobric mit ihren zwei Töchtern Elvira und Samka sowie mit dem damals achtjährigen Sadin die Stadt fluchtartig verlassen. Sie brachte sich und die Kinder erstmal in Slowenien bei einer ihrer Schwestern in Sicherheit. Die muslimischen Viertel von Brcko wurden aufs schrecklichste verwüstet, über 5000 Granaten wurden pro Tag in die Wohn- und Geschäftsquartiere gefeuert, kein einziges Haus blieb ganz. Sumedin Pobric hatte sich zuerst den bosnischen Truppen angeschlossen, und während rund acht Monaten musste er den Krieg aus nächster Nähe erleben. “Furchtbare Bilder bleiben hängen, man muss zuschauen, wie Menschen, liebe Kollegen, selbst Schulfreunde von Elvira, von Granaten zerfetzt werden. Auch der jüngste Bruder wurde getötet, der mittlere durch Granatsplitter schwer verletzt”.

Sumedin hielt es bei der Armee nicht länger aus. Er begann, für den kroatischen “Roten Halbmond” zu arbeiten. Munira Pobric und ihre zwei jüngeren Kinder mussten 1993 aus Slowenien ausreisen; sie suchten Zuflucht in der Schweiz. In Zürich lebt seit zwanzig Jahren Muniras Mutter, eine ungewöhnliche Frau, die nach der Scheidung von ihrem Ehemann allein ihre fünf Kinder grossgezogen hatte und, nachdem diese erwachsen waren, in die Schweiz emigrierte, um hier als Schneiderin zu arbeiten. In ihrer winzigen Wohnung fanden die Flüchtlinge zuerst ein Obdach. Im Januar 1994 gelang es es Sumedin, zu seiner Familie zu gelangen. An seiner Hand war der damals 9jährige Adin, ein Sohn seines schwerverwundeten Burders. Das Kind hatte infolge von Unterernährung, Vitaminmangel und ständigem Nervenstress beinah das Augenlicht verloren. “Er wäre völlig blind geworden, hätte er sich nicht in die Schweiz flüchten können”, erläutert Munira. Sie nahm das Kind wie ein eigenes auf. Der Drittklasslehrerin in Wollishofen ist zu verdanken, dass Adin eine Brille erhielt. Sie kam auch für andere dringende Ausgaben auf; alle Familienmitglieder sprechen von ihr mit grosser Dankbarkeit.

Elvira, die Älteste, traf erst im Sommer 1994 aus Slowenien bei ihrer Familie ein. Sie ist heute 17 Jahre alt, macht ein Büropraktikum und lernt nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch und Italienisch. Ihre Schwester Samka besucht die 2.Klasse der Realschule; sie möchte Kinderkrankenschwester werden. Auch sie lernt neben Deutsch noch Französisch und Englisch. “Am besten von uns allen spricht Sadin Deutsch”, geben die Schwestern unumwunden zu. Seit dem vergangenen Sommer leben in Muniras und Sumedins Obhut  noch zwei weitere Kinder, die 7jährige Zijada und der 10jährige Adnan. Auf tragische Weise starb die Mutter der Kinder, Sumedins jüngste Schwester. “Wir hoffen, dass sie bei uns bleiben dürfen. Sie haben schon zu viel Leid erfahren. Und wir hoffen alle, dass der Friede uns erlaube, bald nach Bosnien zurückzukehren”.

Um alles wiederaufzubauen, was zerstört wurde, wird es viel Mut und Grossmut, aber auch  Hilfe unsererseits brauchen.

 

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