Das Recht, Rechte zu haben – Kontradiktorische Veranstaltung zur Abstimmung vom 13. Juni 1999

Das Recht, Rechte zu haben

Kontradiktorische Veranstaltung zur Abstimmung vom 13. Juni 1999

am 26. Mai 1999, Kath. Pfarramt Peter und Paul, in Winterthur

 

Geschichte von Zekjia und ihren Kindern (aus der Peripherie von Sarajewo)

 

Vergangenes Jahr 50-Jahr-Jubiläum der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte. Welches Menschenbild zeigt sich in dieser Deklaration? Wie ist dieses Menschenbild mit 1948 verknüpft, mit dem Rückblick von drei Jahren auf das Ende des Zweiten Weltkriegs mit den entsetzlichsten Menschenschlächtereien, in denen die menschliche Person, das menschliche Antlitz systematisch vernichtet wurde? Denn jedes der Millionen Opfer repräsentierte je einzeln, als Mensch, die ganze Menschheit (Kant).

Rechte beruhen auf der Tatsache, dass Menschen in Beziehungen leben. Durch die Gegenseitigkeit ihrer Anerkennung als Mensch kommt ihnen das Recht zu, Rechte zu haben (Hannah Arendt). Verletzung, Missachtung und gewaltsame Zerstörung der menschlichen Beziehungen sind immer auch schwerwiegende Verletzungen der menschlichen Person.

Und heute? Welches Menschenbild ist mit den Asylsuchenden verbunden?

Im selben Jahr 1998, ohne dass über das revidierte Asylgesetz abgestimmt worden wäre, Einführung eines Dringliches  Bundesbeschlusses (trat am 1. Juli 1998 in Kraft), der eine enorme Reduktion der Rechte von Menschen bedeutet, die an unsere Grenze gelangen. Jene, die über keine gültigen Dokumente verfügen, bleibt nur 24 Stunden, um eine Gesuch zu stellen; eine knappe, pauschale Befragung, und wer in dieser nicht überzeugen kann, verfolgt worden zu sein, wird ausgeschafft. Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, das das schafft (Stress, Erschöpfung, Angst, Unkenntnis der Landessprachen, Schrift und der gesetzlichen Bestimmungen etc.).

Keine Dokumente zu haben, trifft häufig zu, vor allem in Ländern mit Gewaltverhältnissen (ehemaliges Jugosalwien, gerade Kosovo, auch Algerien, Türkei/Kurdistan, afrikanische Länder etc.); wer aus solchen Ländern in die Schweiz einreist und ein Dokument vorweisen kann, zieht häufig gerade deswegen den Verdacht des „Betrugs“ auf sich und wird abgeiwesen.

Flüchtlinge/Asylsuchende werden generell zum vorherein mit dem Misstrauens- und Missbrauchssstigma versehen. Dazu kommt, dass ihnen mit einer besserwisserischen Arroganz begegnet wird. Noch Ende März wurde vom BFF behauptet, in Kosovo herrsche keine Situation allgemeiner Gewalt. Der Begriff des Safe country, mit dem Rückschaffungen legitimiert werden, spricht den Tatsachen Hohn.

 

Geschichte eines jungen Tamilen, der 1994 in Colombo von der singhalesischen Polizei beim Betreten des Flughafens sofort gefangengenommen und aufs schwerste maltraitiert wurde, weil Namen und Konten der Tamil Tigers, zu denen er nicht gehörte, von ihm genannt werden sollten; dasselbe häufig bei zurückgewiesenen Kurden und Kurdinnen in die Türkei.

Gewiss, es gibt einzelne, deren Ziel es ist, in der Schweiz zu etwas Glück zu kommen, in der Meinung, dies sei hier allen möglich. Sie werden Wirtschaftsflüchtlinge genannt, richtiger hiessen sie Armutsflüchtlinge. Es gibt darunter auch Rechtsbrecher, ohne Zweifel. Aber die letztgenannten sollen durch das Strafgesetz beurteilt werden, und die anderen dürfen nicht pauschlavermutugnen für alle Asylsuchenden schaffen. Jede Pauschalierung, haben wir gelernt, ist menschenunwürdig.

 

Geschichte von 2 türkischen Cousins (SFH, 1992)

Unrecht schafft auch der Status der Kriegsflüchtlinge, der im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um das neue Asylgesetz steht. Dieses wurde seit 1981 bereits viermal verschäft, und die Anerkennung, dass ein Mensch tatsächlich in seinem Land an Leib, Seele und Leben gefährdet ist, wird immer spärlicher, obwohl Gewalt, Verfolgung und kriege zunehmen. Pauschal aufgenommene Kriegsvertriebene gelangen im Notfall schneller, mit weniger bürkratischen Hürden in die Schweiz. Dies aber darf die Möglichkeit, ein individuelles Asylgesuch zu stellen, nicht verhindern.

 

Geschichte von Sanin-Stojan und Mutter mit Milos (aus der Republica Srbska)

Jährlich publiziert das UN-Menschenrechtszentrum in Genf eine erschreckende Statistik. Jährlich erreichen das Menschenrechtszentrum  etwa ½ Million Beschwerden  über gravierende Verletzungen, z.B. werden dort jährlich an die 50’000 „Verschwundenen“ registriert. Dieses Ausmass an Menschenrechtsverletzungen bestätigt auch amnesty international. In 110 Staaten dieser Erde werden Gefangene gefoltert, in vielen davon systematisch. Aus etwa der Hälfte dieser Staaten werden auch sog. „extralegale“ Hinrichtungen gemeldet.  Auch in Staaten mit sog. „legalen“ Hinrichtungen, etw in den USA oder in China, geht dem Vollzug der Todesstrafe jahrelange quälende Einzahlhaft oder Schlimmeres voraus. Über 300’000 politische Häftlinge sitzen ohne Anklage im Gefängnis. An die 30 Millionen Menschen sind wegen Krieg, Bürgerkrieg, ethnisch, rassistisch oder religiös motivierter Gewalt als Vertriebene und Flüchtlinge irgendwo unterwegs, werden aus Aufnahmestaaten wieder weitergeschoben, weiterdeportiert, in die Herkunftsländer zurückgeschafft, in denen sie nicht leben können. Weit über 700 Millionen Menschen sind weltweit erwerbslos und leben in grosser Armut, ein grosser Anteil von ihnen ohne Bildung und ohne Obdach. Hunger, Kindersterblichkeit, Kinderarbeit und Kinderprostitution nehmen weltweit weiterhin zu, die Frauenrechte werden mit Füssen getreten. Gewalt gegen Frauen, Kinder und Ausländer/Ausländerinnen, strukturelle Gewalt gegen sog. körperlich und geistig Behinderte sind scheinbar mit demokratischer Rechtsstaatlichkeit verträglich. Und dies, obwohl in den letzten 50 Jahren weit über 70 Menschenrechtspakte, -übereinkommen und -erklärungen ausformuliert  und von den meisten Staaten der Erde ratifiziert wurden, auch von jenen, in welchen offiziell begangene Menschenrechtsverbrechen zur Tagesordnung gehören.

Vergessen wir nicht, was wir in den vergangenen paar Jahren aufzuarbeiten hatte, was unsere Jugend, unsere Kinder so belastet, ist das Versagen der Schweizerischen Flüchtlignspolitik vor und während des Zweiten Weltkriegs. Wollen wir, will die Schweiz, so erpicht auf ihr gutes „image“, sich auch in der Zukunft einen Ruf der Kleinherzigkeit, der Kaltherzigkeit, des Krämergeistes schaffen? Die Zustände an den Flughäfen sind schlimm, auch an den sog. „Empfangszentren“ (mein Eindruck von Kreuzlingen). So dürfen Menschen nicht „behandelt“ werden

Eben war die Rede von den über 70 Menschenrechtspakten und –übereinkommen. Sie betreffen spezifische  Bereiche oder Gruppen innerhalb des menschlichen Zusammenlebens, Kinder, Flüchtlinge, Fremde, Frauen, Arme etc. Die Schweiz ist bekannterweise noch immer nicht Mitglied der UNO. Bei mehreren Abstimmungen hat immer wieder eine Mehrheit der Stimmbürger eine Ablehnung des Beitritts durchgesetzt. Die Schweiz hat trotzdem einige dieser Pakte ratifiziert, etwa 1994 das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Verstösst eine generelle, pauschale Missbrauchsvermutung nicht gegen das Antirassismusgesetz? Oder das Übereinkommen über die Rechts des Kindes von 1989, das erst vor zwei Jahren ratifiziert wurde. Was bedeutet die zögerliche, ja ablehnende Haltung der Schweiz, die so laut auf ihre Rechtsstaaatlichkeit pocht,  in Bezug auf die Ratifikation, resp. auf die Bereitschaft zur Durchsetzung der Menschenrechtsabkommen? Inwiefern stimmt die Gesetzesrealität mit den Internationalen Übereinkommen oder mit den Verfassungsgrundsätzen überein (gerade hinsichtlich der Genfer Flüchtlingskonvention von 1956 oder der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK von 1950/51)? Die Übereinstimmung ist an vielen Stellen brüchig,

  • so gerade durch die Ausschaffungspraxis von Flüchtlingen, zum Beispiel die pauschalen Rückschaffungen bosnischer Flüchtlinge, oder jene von Kindern und Jugendlichen. Oder die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht? Oder der Dringliche Bundesbeschluss. Oder die im neuen Aslygesetz verwehrte Asylgesuchstellung für pauschal aufgenommene Kriegsvertriebene, etc.
  • Ist ein Unrecht, das im Namen des Gesetzes erfolgt, weniger Unrecht? Die Schweiz hat bekanntlich die Konvention über die Rechte des Kindes ratifiziert. Was Xhevair Dura angetan wurde, im April 1998, ist ein Hohn auf die Kinderrechtskonvention, ist ein Hohn auf die Glaubwürdigkeit jeder bundesrätlichen Unterschrift unter ein auf Humanität verpflichtendes Dokument. Dass das Recht eines Kindes auf Schutz seiner Grundbedürfnisse, dass zum Beispiel sein Recht auf einen Vormund, der die Würde seiner so ungeschützten Persönlichkeit verteidigt, mit Verachtung übergangen wird, und dies im Namen des Rechtsstaates Schweiz, ist ein offiziell begangenes Unrecht – unter vielen anderen, die erzählt werden könnten.

 

  • Was können wir dagegen tun? Wir stimmen zweimal Nein am 13. Juni 1999.

Meine Frage an Sie ist, ob nicht gerade die überall aufkeimende und mit Gewalt durchgesetzte Ethnisierung eine der gefährlichsten Gegenbewegungen zum friedlichen Bemühen um eine universale Umsetzung der Menschenrechte sei? Wie viel klingt davon in den Slogans von Rechtsaussen nach, die „Schweiz gehöre den Schweizern“? Wie kann der weit verbreiteten Angst um den Verlust des herkömmlichen Eigenen in Kultur und Tradition entgegengewirkt werden, ohne dass sich neue Feindbilder, Ausgrenzungen, ja blutige Vernichtungsaktionen der Anderen durchsetzen? Mit anderen Worten: Wie können die Menschenrechte, fünfzig Jahre nach ihrer Verkündigung, endlich zu einem weltweiten Instrument des Friedens werden?  Auch hier in der Schweiz? Was lässt sich auf der Ebene des Zusammenlebens im Kleinen tun?

Kritische Urteilskraft aufbauen, Propaganda hinterfragen, Vorstellungskraft trainieren, d.h. sich an Stelle derjenigen Menschen setzen, um die es beim Abbau von Rechten geht, ihnen zuhören,  Koalitionen eingehen mit Menschen, die ebenfalls für eine tatsächliche Umsetzung der Menschenrechte kämpfen, vor allem für das Recht, dass Menschen verschieden zu sein dürfen, und trotzdem den gleichen Anspruch auf Persönlichkeitsrechte, auf Respekt ihrer menschlichen Würde, kurz auf ein angstfreies Leben haben.

 

 

Kurz: unsere politischen Rechte benützen, um gegen diskriminierende Gesetze zu stimmen: Zweimal Nein am 13. Juni.

 

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